Verfasst von Katja Stermsek am 13. November 2017
Ein chinesisches Sprichwort lautet „Wer eine lange Reise machen will, muss mit seiner Ausrüstung schonend umgehen.“ So ungefähr drückte das mein Opa auch aus. „Stetiger Schritt, nicht zu schnell, aber auch nicht stehenbleiben. So kannst Du lange Wandern.“ Nun war und ist Wandern, muss ich gestehen, nie meine große Leidenschaft aber auch bei den Fahrradtouren, die ich mit ihm um einiges lieber machte, herrschte immer ein gemäßigtes aber stetes Tempo. Und so hat er es bis ins hohe Alter gehalten. 101 Jahre wurde er alt. Fit, selbständig und zufrieden bis zum Schluss. Die Süddeutsche Zeitung erzählte letztens von der stetig wachsenden Zahl von über 100 Jährigen in Deutschland und staunte über das Ergebnis einer Studie, die dem Geheimnis eines langen Lebens nachgeforscht hatte. Denn offensichtlich spürten diese Menschen natürlich ihr Alter und das Älter-werden aber sie schafften es, trotzdem ihr Leben zu genießen. Selbst, wenn ihnen zum Beispiel ausgiebige Bergtouren, wie sie sie lange unternehmen konnten, irgendwann nicht mehr möglich waren, so konnten sie den Blick vom Balkon auf die Berge trotzdem als wohltuend empfinden. Oder der alte Rennfahrer, der natürlich nicht mehr alte Rekorde erreichte aber dafür neue in der neuen Sparte „100 Jahre“ setzte – 22,5 km in der Stunde. Es sei anscheinend die Einstellung zum Leben das Entscheidende, stellt die Heidelberger Studie fest. Nicht hadern über das Vergangene oder über schwindende Kräfte, sondern sich an dem freuen, was ist. Tatsächlich kann ich mich sehr gut daran erinnern, als mein Opa eines Tages bei strammem Gegen-den-Wind-Radeln plötzlich anhielt und die letzten Meter zum Leuchturm-Cafe auf Norderney sein Rad schob. „Das kann ich nicht mehr.“ sagte er mit weiser Einsicht grad raus. „Aber jetzt gibt’s feinen Tee! Ich habe uns schon angekündigt!“ Und tatsächlich empfing uns traditionell das Leuchtturm-Cafe mit einer großen Kanne heißen Ostfriesentee auf dem Stövchen, Kluntjes und Sahne für die Wulkjes. Draußen tobte der Wind und drinnen genossen wir die gemütliche Zeremonie. Und mein Opa freute sich bereits auf die Rückfahrt, „da werden wir dann fliegen!“ So war es dann auch. Großer Spaß! Es ist also, fanden die Forscher auch genau heraus, eine große Portion Achtsamkeit die die alten Herrschaften im Leben begleitet. Nicht erst im Alter, sondern schon viel früher. Und wieder denke ich an meinen Großvater, der sich, weil Freidenker und als politischer Mensch vom aufziehenden Faschismus zornig, schon als junger Mann mit dem Taoismus beschäftigt hatte. Der achtsame Umgang mit Körper und Geist und allen Geschöpfen war maßgeblich für sein ganzes Leben. Aber noch eine weitere Sache war es, die alle Alten gemein haben – natürlich, auch Großväterchen! – sie sind trotz hohem Alter immer noch an der Zukunft und an allem Neuen interessiert. Neue Technologien, Internet, das Weltgeschehen, ferne Länder, fremde Kulturen – bis zuletzt interessiert sie die Zukunft, die Sorge, dass es eine Gute für die Menschheit sei und der Genuss am Leben – jeden Tag. Die letzten Worte meines Opas, viele Jahre später nach dem Leuchtturm-Cafe, waren übrigens „Ich. Kann. Nicht. Mehr!“ Dann atmete er aus. Und vor dem Fenster seines Schalfzimmers, am frühen Morgen des Mitsommers, setzte sich ein Rotkehlchen auf die Fensterbank und begann zu zwitschern.
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